Der Fall Viktor
„Ich hasse die Schule. Nie weiß ich, was heute wieder passieren wird: Welche dummen Sprüche muss ich mir anhören? Verdrehen wieder alle die Augen, wenn die Lehrer mich in eine Gruppe stecken, weil mich niemand freiwillig dabeihaben will? Werde ich geschubst, getreten oder bespuckt? Verschwinden wieder Sachen von mir oder landen im Klo? Eigentlich egal – denen fällt jeden Tag was Neues ein und ich kann eh nichts dagegen machen. Ich hab‘ ja versucht, mich zu wehren, aber die hören einfach nicht auf. Niemand will mehr etwas mit mir zu tun haben. Meinen Eltern kann ich auch nichts erzählen. Die verstehen das alles nicht und machen es nur noch schlimmer. Ständig schlagen sie vor, dass ich doch mal jemanden einladen soll. Aber wer würde mich schon besuchen wollen? Ich hasse mein Leben! Ich weiß nicht, wie lange ich das alles noch aushalte.“
Viktors Mutter: „Ich weiß nicht mehr weiter.“
„Ich weiß nicht mehr weiter. Morgens muss ich Viktor dazu zwingen, dass er aufsteht und in die Schule geht. Wenn er heimkommt, lässt er das Mittagessen meistens ausfallen und verzieht sich sofort in sein Zimmer. Dort bleibt er dann praktisch den ganzen Tag. Es ist schon ewig her, dass er Freunde zu uns nach Hause eingeladen hat. Erst dachte ich, es ist nur eine Phase, dass Viktor nicht mehr so viel erzählt und auch schneller gereizt ist. Und dass das ja auch zur Pubertät dazu gehört. Aber das geht jetzt schon eine ganze Weile so und ich kann sehen, wie bedrückt er ist. Ich mache mir wirklich Sorgen. Seine Noten werden auch immer schlechter, dabei ist er doch eigentlich clever. Er kommt nur noch zu mir, wenn er Geld braucht, weil er wieder einmal irgendetwas verloren hat oder ihm etwas kaputt gegangen ist. Er war doch früher nicht so ein Tollpatsch. So kann das einfach nicht weitergehen. Wie kann ich Viktor helfen?“
Viktors Lehrer: „Was ist nur mit Viktor los?“
„Was ist nur mit Viktor los? Er ist in der Klasse zum Außenseiter geworden. Bei Gruppenarbeiten muss meistens ich entscheiden, in welche Gruppe er geht. Auch in den Pausen sehe ich Viktor immer alleine rumstehen. Wenn Mitschüler im Unterricht blöde Kommentare über ihn machen, sage ich, dass sie das lassen sollen. Aber ich kann ja nicht immer und überall da sein. Viktor scheint sich auch nicht mehr konzentrieren zu können. Seine Leistungen werden immer schlechter, obwohl ich eigentlich den Eindruck habe, dass der Stoff nicht zu schwer für ihn ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass er immer so müde wirkt. Auf jeden Fall scheint es ihm nicht gut zu gehen. Aber was soll ich tun? Ich will ja auch nichts falsch machen. Und es ist einfach nie genug Zeit, sich um einzelne Schüler zu kümmern. Aber gar nichts zu tun, ist doch auch nicht richtig. Wie soll ich mit der Situation umgehen?“